In Pucon angekommen suchen wir zunächst nach Mathias Boss, den Betreiber einer Pferdefarm , der Reittouren anbietet . Mathias kennen wir schon aus unserer ersten Chile Reise 2007. Er bzw. seine Reittouren sind Ursache dafür, dass wir reiten gelernt haben. So ist es quasi unsere Pflicht, ihn zu besuchen. Ich hatte schon vorab bei ihm angefragt, ob er zufällig eine passende Reittour für uns hätte, aber er hat geschrieben, dass er ausgebucht ist und keine Pferde bzw. Guides zur Verfügung hat. Trotzdem machen wir und auf den Weg, der nicht ganz so einfach ist. Die (abenteuerliche) Holzbrücke zu Mathias Farm hat nur eine Durchfahrtshöhe von 2,4m. Der Bus hat aber 2,7m.
Auch die Auswahl der passenden Pferde steht noch am Abendprogramm. Es schien fast unmöglich, aber Montag früh stand alles bereit, Pferde, Ausrüstung, LKW, Luis der Gaucho und Anna, der Guide, allerdings ein wenig gezeichnet von den Caipirinha’s des Vorabends. So ziehen wir los, zu einer 3-Tagestour in den Nationalpark Villarica, einem Vulkangebiet bei Pucon.
Über die Tour selbst gibt es eigentlich nicht viel zu sagen, die Bilder, so glaube ich, sprechen für sich. Wanderreiten durch die faszinierende Vulkanlandschaft Pucons, mit Schneefeldern, Vulkanen, Hochgebirgsseen, unberührten Urwäldern, über steile, steinige Anstiege, durch Flüsse, über Schneefelder und auf Vulkansand, entlang von malerischen Seen galoppieren. Was kann man da noch sagen bzw. erwarten. Vielleicht einen Pisco Sour als Aperitiv zum Lomo Liso vom Lagerfeuer.
Schon in der Nacht hat es zu Stürmen und Regnen begonnen. Das war so lange kein Problem als wir im Zelt bzw. im warmen Schlafsack waren. Aber wehe, man steckt seine Nase nach draußen in den Wind. Da wurde es richtig ungemütlich, die romantische Bergwelt hat sich in eine lebensfeindliche Wildnis verwandelt. Der Wind, so kräftig, dass man mühe hat aufrecht zu stehen, dazu Eisregen. Es hilft aber alles nichts, wir müssen zurück ins Tal. So verstauen wir die Zelte notdürftig in die Packsäcke und satteln die Pferde und reiten los. Die Pferde sind solche Bedingungen offenbar gewohnt, und gehen zwar ein wenig unwillig, aber brav vorwärts. Stake Windböen, mit stechendem Eisregen lassen sie aber manchmal erschrecken und erfordern einen Reiter, der entsprechend Sicherheit vermittelt, um sie am Durchgehen zu hindern. Das ist angesichts der eingefrohrenen Finger nicht so einfach. Es ist Tier, Mensch und Ausrüstung gefordert. So bieten die Ponchos recht guten Schutz gegen Regen, aber durch den starken Wind werden die Ponchos immer wieder hochgeblasen und verlieren damit ihre schützende Wirkung. Auch die Hüte sind nur bedingt einsetzbar, weil der Wind sie schlicht und einfach vom Kopf reißt.
So sind wir froh nach mehr als 3 Stunden die schützende Hütte von argentinischen Bauern zu erreichen, die uns vor dem Ofen Unterschlupf geben und uns mit Tee wärmen. Angesichts dieser Beschreibung denkt man sich wohl warum tut man sich das an, warum nimmt man dieses Risiko in Kauf. Dazu fallen mir die Worte von Urs Winter, einem erfahrenen weißbärtigen Schweizer ein, der im Rahmen eines Lawinen- Seminares gesagt hat. Ein Teil der Faszination am Alpinsport wie Schitouren- gehen oder Bergtouren – Wanderreiten zählt da wohl auch dazu – ist das Leben mit dem Risiko.
Zur Reittour gibt’s auch noch eine soziologische Betrachtung. Mathias hat mir erzählt dass er damit begonnen hat seine Reittouren im Rahmen von Teamentwicklungs- Schulungen, z.B. Leadership – Seminaren anzubieten – jedenfalls vor der Wirtschaftskrise. Das besondere daran ist, dass es in der Pferdeherde ähnliche Rollen gibt wie in menschlichen Teams, und es auch vergleichbare Verhaltensmuster gibt. So ist ein wichtiger Faktor bei den Pferdetouren, dass der Reiter zum Pferd passt, dass wie man so schön sagt: „Die Chemie passt“. Dabei ist zu beobachten, dass häufig Pferd und Reiter die gleiche Rolle in der Gruppe übernehmen.
Diesen Bericht schreibe ich erst jetzt fast zwei Wochen nach der Tour. Auch und nicht zuletzt unter dem Eindruck der Erdbebenkatastrophe, die weite Teile Südchiles erschüttert hat. Das Epizentrum mit einer unglaublichen Stärke von 8,8 lag in der Nähe von Conception, etwa 500km von Pucon entfernt. In Chile sind Erdbeben nichts Ungewöhnliches, sie gehören hier praktisch zum Alltag, man ist auf Beben vorbereitet und auch die Häuser sind entsprechend konstruiert. Aber ein Beben dieser Stärke ist selbst für die sichersten Bauwerke nicht bewältigbar. So ist Conception praktisch total zerstört und auch in weiter entfernten Orten wie Pucon richtet das Beben schwere Schäden an.
Brücken über die ich noch vor kurzem gefahren bin, sind eingestürzt, Straßen, die ich benutzt habe sind aufgebrochen, Menschen, denen ich begegnet bin, sind obdachlos. Es kaum fassbar und stimmt nachdenklich wie wenig nötig ist um aus einem paradiesisch wirkendem Land eine Katastrophengenregion zu machen. Ich selbst bin wegen des Schlechtwetters unmittelbar nach der Reittour bzw. nachdem ich Christine zum Flughafen in Temuco gebracht habe, wieder in Richtung Iquique aufgebrochen und damit der Katastrophe entkommen.